Neue Presse
Neustadt/Sonneberg
Samstag, 9.Mai 1992

Erbaulich: Ein Tag im Straßencafé

Pantomime zu Jazz-Piano am Neustadter Arnold-Gymnasium wurde wieder ein großer Kunstgenuß

NEUSTADT (ski). Zu einer Kleinkunstbühne umfunktioniert präsentierte sich am Donnerstag abend die Pausenhalle des Neustadter Arnold-Gymnasiums. Einen Kunstgenuß ganz besonderer Art kündigte der Hausherr, Oberstudiendirektor Dieter Funk, den etwa 100 Besuchern an, die gekommen waren, um Pantomime bei Jazz-Piano zu sehen und zu hören.
 
Der Pantomime Harald Seime aus Jena und Pianist Matthias Hessel aus Berlin gaben am Donnerstag abend in der Pausenhalle des Arnold-Gymnasiums eine eindrucksvolle Probe ihres Könnens.
Foto: W.Bretschneider
 

Die weitschweifig angesetzte Begrüßungsrede fand jedoch ein abruptes Ende, als ein umtriebiger Techniker, der vorgab, für einen streikenden Kollegen eingesprungen zu sein und nun den bautechnischen Zustand des Podiums und der Beleuchtungseinrichtungen prüfen zu müssen, den Redefluß des Oberstudiendirektors so nachhaltig störte, daß der sich genötigt sah, von der Bühne abzutreten und sie dem "Streikbrecher" zu überlassen.

Die Unruhe, die im Publikum aufzukeimen drohte, während Dieter Funk eine geeignete Sitzgelegenheit suchte, verwandelte sich jedoch in Applaus, als der Jazz-Pianist Matthias Hessel aus Berlin -Oh- (mit vorgehaltener Hand), standesgemäß mit Fliege auf weißem Hemd und weinroter Hose bekleidet, die Bühne betrat.

Unterdessen hantierte das geschäftige Behelfs-Faktotum, das sich inzwischen den Unmut nicht nur des Schulleiters, sondern des gesamten Publikums zugezogen hatte, mit irgendwelchen Schlüsseln am Piano, offenbar in der Absicht, selbiges aufzuschließen und gebrauchsfähig zu machen, was schließlich auch gelang, so daß die Vorstellung endlich beginnen konnte.

Für den geneigten Beobachter nicht ganz überraschend, entpuppte sich  der "Aushilfsbedienstete" als der -neben dem Pianisten Matthias Hessel- „Star des Abends", der Pantomime Harald Seime von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, nun aber von der Kleidung her wenig dezenter, dafür aber in der Gestik umso dezidierter Kellner eines Straßencafés, mit einem untrüglichen Blick für  weibliche Reiz- und Formgebung.

Als eine etwas überkandidelte Dame aus besseren Kreisen auf Partnersuche via Zeitungsinserat in der  Zeitschrift Such & Find präsentierte sich Harald Seime denn auch in der nächsten Szene. Der von ihrer Gunst auserkorene Pianospieler nahm jedoch, zu ihrem Verdruß, keinerlei Notiz von ihr.

In ihrer Vorstellung sah dieselbe Dame sich daraufhin zum Opfer eines Raubmordes werden, bei dem offenbar ihr Herz gestohlen wurde. Zum allgemeinen Amüsement der Zuschauer, weniger wohl zum Amüsement der  Dame, wurde das "Verbrechen" direkt unter den "gestrengen Augen des Gesetzes" verübt, die zwischen Pflichtgefühl und mangelnder Kompetenz  hin und her gerissen schienen.

Im Straßencafé ging man unterdessen zum Alltag über. Der Kellner brachte dem Pianisten, dessen Spiel die einzelnen Szenen dramaturgisch untermalt hatte, ein "Jungschweinsteak", das sich als ungenießbarer Affenkopf entpuppte, eine Wertschätzung ganz besonderer Art.

Just zur "Mittagszeit" sah der aufdringliche Techniker vom Beginn der Vorstellung sich genötigt die Bühne aufzuräumen. Ein saftiger Hexenschuß, der ihm ins Kreuz fuhr, bestrafte den Frevler für seine Unverschämtheit. Dem Publikum, vielleicht auch dem Oberstudiendirektor Funk, war Genüge geleistet.

Der Nachmittag im Straßencafé verlief wie die meisten Nachmittage in vergleichbaren Einrichtungen, bei Gästen, die dem Alkohole im Übermaß zusprachen und infolgedessen mehr oder minder gewaltsam entfernt werden mußten. Dafür durfte der Kellner zum Abend hin wieder in sein ureigenes Element eintauchen, als er seinen Gästen ein Musikalisches Menü präsentierte.

„Für Kenner und solche, die es werden wollen“, gab es Ragouts á la Johann Sebastian Bach, einen Sonatenauflauf nach Ludwig Beethoven und ein Dessert á la Frederik Chopin.

Zum absoluten Höhepunkt des Abends im Straßenkafé wurde aber eine zwerchfellerschütternde Rede gehalten, in der der Vortragende nichtssagende Hundelaute vom Bellen bis hin zum Winseln von sich gab, was schließlich derart auf sein Verhalten abfärbte, daß er sich letztlich selbst wie ein Hund gebärdete. Eine Mahnung vielleicht an unsere Politiker...

„Pantomime und Jazzpiano“ hat Geschmack auf mehr geweckt, mehr Pantomime und mehr Ragtime, mehr Boogie und mehr Blues aus den 20er Jahren. Andererseits, befriedigende Genüsse haben „keine Zeit“ und immer gehen sie viel zu schnell zu Ende.

 
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